Schlafstörungen und permanente Erschöpfung
Psychosomatische Folgen einer Post Covid-Erkrankung: „Wenn der Körper sich immer so anfühlt, als hätte man eine enorme körperliche Belastung hinter sich – das macht was mit einem…“
Schlafstörungen und permanente Erschöpfung : Ein milder Corona-Verlauf im November 2020 – für Sabine P. der Anfang einer immer noch anhaltenden Odyssee zwischen fehlgeleiteter Diagnostik, Selbsthilfe und Experimentierfreude. Was mit Atemnot, Schüttelfrost und Geruchsverlust beginnt, entwickelt sich zu einer Depression, Angstzuständen und dem Verlust des Vertrauens in den eigenen Körper.
Post Covid-Symptome resultieren in Angstzuständen und einer Depression
Erst ein halbes Jahr nach der eigentlichen Corona-Infektion entwickelt Sabine P. Post Covid-Symptome. Die 40-Jährige bemerkt, dass sie beim Joggen ihre eigentlich gute körperliche Leistung nicht mehr abrufen kann und auch nach emotionalem Stress erschöpft ist. Sie konsultiert ihren Hausarzt, der ihre Blutwerte überprüft und ein EKG schreibt – jedoch ohne auffälligen Befund – und ihr daraufhin rät, mehr Cola zu trinken und sich etwas salzreicher zu ernähren.
Zusätzlich zu der permanenten Erschöpfung, auch Fatigue genannt, kommen im November 2021 – also ein Jahr nach der Infektion – Schlafstörungen hinzu. Die berufstätige Mutter von drei Kindern, die immer viel und gerne Sport gemacht hat, hat Angst, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren: Die schnelle Erschöpfbarkeit führt zum Verlust sozialer Kontakte und sie empfindet ihren Körper in andauernder Alarmbereitschaft: „Wenn der Körper sich permanent, jeden Tag, immer so anfühlt, als hätte man eine enorme körperliche Belastung hinter sich und niemals wieder in den Zustand kommt ‚och, jetzt geht es mir wieder besser, jetzt habe ich mich davon erholt‘ ist das wahnsinnig zermürbend und das macht was mit einem.“ Bei Sabine P. führt diese Belastung zu einer Angststörung und Depression. Sie empfindet ihre Situation als furchteinflößend und bedrohlich. Eine Psychotherapie, die medikamentös unterstützt wird, bringt im Februar 2022 Linderung: „Und wenn ich mir vorstelle, dass es ganz viele Menschen gibt, denen es so geht und die nicht so schnell Unterstützung erfahren haben wie ich, dann geht es mir sehr schlecht, weil ich das in dieser kurzen Zeit schon so schlimm empfunden habe. Durch die Medikamente geht es mir jetzt besser, jetzt kann ich ganz locker darüber reden, aber das wäre vor ein paar Wochen noch nicht gegangen.“
Unsicherheiten als Risikofaktor für Angststörungen und Depressionen
Für Dr. Tobias Duncker ist dieser Krankheitsverlauf nicht ungewöhnlich. „Frau P. ist in einer Phase erkrankt, wo Corona und Long Covid für uns alle noch sehr diffus und schwammig waren. Dann muss man erst mal lernen, mit dieser unbefriedigenden, unscharfen Situation umzugehen. Und solche Unsicherheiten sind ein Risikofaktor für das Entstehen von Angststörungen“, erklärt der leitende Arzt des Fachkrankenhauses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in der Dr. Becker Burg-Klinik.
In solchen Zusammenhängen würden Grundpfeiler des Selbstverständnisses wegbrechen, was das Risiko für zusätzliche psychische Probleme wie Angststörungen signifikant erhöhe. „Sich das im Nachhinein klarzumachen, hilft auch schon. Frau P. hat dann ja die Erfahrung gemacht, dass eine kompetente Betreuung im Rahmen einer Psychotherapie, die sowohl auf die körperlichen als auch auf die psychischen Konditionen Rücksicht nimmt, hilft und stärkt“, erläutert Dr. Tobias Duncker.
Er sieht aber noch weitere pandemie-bedingte Risikofaktoren: So könne beispielsweise auch eine beeinträchtigte Atmung existenzielle Ängste auslösen, Selbstverständliches erscheine auf einmal nicht mehr sicher. Auch gebe es die Vermutung, dass Covid-19 selbst über inflammatorische und stresshormonelle Wege das Depressions- und Angstrisiko erhöht. Auch die soziale Isolation im Kontext einer Covid-Erkrankung könne dazu beitragen, eine depressive Episode zu entwickeln. „Die akute Covid-Erkrankung, aber auch die Long-Covid-Konditionen sind so belastende Stressereignisse, dass sie dazu führen können, dass ich mich gerade bei hohen Selbstansprüchen überfordere und darüber in eine Depression rutsche“, fasst Dr. Duncker zusammen.
Mediziner rät zur „Experimentierfreude“
In der Therapie psychosomatischer Beschwerden lässt sich laut Dr. Duncker an verschiedenen Stellen ansetzen: „Das Erste, was wir erreichen müssen, ist sich selber einzugestehen, diese Symptome haben zu dürfen und Geduld mit sich zu haben, wenn diese nicht sofort verschwinden, obwohl man alles tut, was empfohlen wird.“ Außerdem rät der Mediziner zur „Experimentierfreude“: Unter Berücksichtigung der eingeschränkten Leistungsfähigkeit – z. B. im Sport – Dinge auszuprobieren, das richtige Maß für sich selbst zu finden – und zwar immer mit der Hoffnung, aber nicht dem Anspruch, dass das Probierte gelingen muss.
Sabine P.‘s Geschichte zum Nachhören im Podcast
Über ihre ganze Geschichte spricht Sabine P. im interdisziplinären Rehapodcast „Frühbesprechung“ der Dr. Becker Klinikgruppe. Gemeinsam mit Dr. Tobias Duncker (Leitender Arzt im Fachkrankenhaus für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Dr. Becker Burg-Klinik) und Dr. Robin Roukens (Neurologischer Chefarzt der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik) versucht sie die Zusammenhänge zwischen ihrer Post Covid-Erkrankung und den heutigen psychosomatischen Beschwerden zu verstehen.
Der Podcast „Frühbesprechung“ kann kostenlos auf allen gängigen Streamingportalen wie Spotify oder Apple Podcast und auf www.fruehbesprechung.de angehört werden.
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Dr. Becker Klinikgruppe
Die Dr. Becker Klinikgruppe betreibt deutschlandweit acht Rehabilitationseinrichtungen, darunter fünf psychosomatische Kliniken. Zur gemeinsamen Verbesserung der Versorgungslage von psychisch erkrankten Patient:innen hat die Klinikgruppe in 2020 eine Fach-Gruppe für Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen ins Leben gerufen. Ihnen bietet sie digitale Fachvorträge und einen kollegialen Austausch an.